Die EU will eine Reform des Entsendegesetzes
Das Lohnniveau ist in den europäischen Ländern sehr unterschiedlich. Deshalb wollen auch viele Menschen aus Süd- und Osteuropa in den westlichen Ländern arbeiten. Das EU-Entsendegesetz (Richtlinie 96/71/EG) macht es für jeden Bürger der Europäischen Union möglich, in einem anderen EU-Land zu arbeiten. Trotzdem verdienen osteuropäische Arbeiter oft weniger Geld als die Einheimischen. Das wollen Europas Sozialminister jetzt ändern und könnten somit die Situation in der Pflegebranche noch weiter verschärfen.
Besonders die Länder Deutschland, die Benelux-Staaten und Frankreich drängen auf eine Änderung der Entsenderichtlinie. Sie sehen hier eine Wettbewerbsverzerrung und möchten damit eine Benachteiligung der einheimischen Unternehmen vermeiden. Ebenso befürchten sie eine Verdrängung einheimischer Arbeitnehmer vom Arbeitsmarkt. Vor allem in Branchen wie das Baugewerbe oder in der Fleischverarbeitung.
Auch wenn osteuropäische Unternehmen bei einer Entsendung das deutsche Mindestlohngesetz beachten müssen, so zahlen sie für ihre entsendeten Arbeitnehmer in den Heimatländern doch teilweise erheblich geringere Sozialabgaben. So sind die Lohnnebenkosten beispielsweise in Bulgarien oder Rumänien um etwa 90 Prozent niedriger als in Dänemark.
Das halten einige westeuropäische Länder aber für ungerecht und möchten schnell eine neue Regelung. Ihre Idee: In den Herkunftsländern der Entsendeunternehmen sollen doch bitteschön die gleichen Sozialabgaben gezahlt werden wie in den Ländern, in denen ihre Mitarbeiter tätig sind. Besonders den Gewerkschaften passt die bisherige Regelung überhaupt nicht und deshalb üben sie Druck auf ihre Vertreter im EU-Parlament aus.
Für den Bereich Pflege leider zu kurz gedacht
Wie sieht es aber insbesondere in dem Bereich Pflege aus? – In Deutschland, aber auch in vielen anderen westeuropäischen Ländern, herrscht ein immer größer werdender Mangel an Pflegekräften. Man spricht schon offen von einem Pflegenotstand. Die Kapazitäten bei stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen werden immer begrenzter. Besserung ist nicht in Sicht.
Auch in der häuslichen Betreuung von Senioren hat sich die 24 Stunden Pflege in Ländern wie Deutschland, Österreich oder in der Schweiz schon fest etabliert. Genaue Zahlen sind nicht bekannt. Man schätzt aber, dass allein in Deutschland zwischen 200.000 bis 300.000 Betreuungskräfte tätig sind. Viele von ihnen sind bei einer osteuropäischen Agentur angestellt und werden gemäß der EU-Entsenderichtinie nach Deutschland entsendet. Viele Familien sind sehr dankbar und konnten sich für ihre pflegebedürftigen Familienmitglieder eine Betreuung zu Hause leisten und somit verhindern, dass diese nicht in ein ungeliebtes Pflegeheim abgeschoben werden müssen.
Wenn es zu einer Neuregelung der Entsenderichtlinie kommen sollte, trifft man auch gleichzeitig die vielen Familien, die sich gegenwärtig eine 24 Stunden Pflege zuhause leisten können. Die Preise könnten bis zu 20 Prozent steigen. Nicht jeder wird sich dann weiterhin diese Betreuungsform auch leisten können.
Viel wichtiger aber ist – wer soll denn dann diese Betreuung erbringen?
Deutsche Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen verdrängt man in diesem Bereich ganz bestimmt nicht vom Arbeitsmarkt. Es ist kaum bekannt, dass deutsche Betreuungskräfte in der 24 Stunden Pflege überhaupt tätig sind. Es ist ja schon kaum noch möglich, in den „normalen“ Pflegeberufen überhaupt noch Personal zu finden.
Und auch den Frauen und Männern in Osteuropa tut man damit sicherlich keinen Gefallen. Ihre Länder sind von höherer Arbeitslosigkeit geprägt und die Löhne fallen wesenlich niedriger aus. Viele 24h-Pflegekräfte kommen doch vor allem deshalb nach Deutschland, weil sie hier einen verhältnismäßig hohen Verdienst im Vergleich zu ihrem Heimatland erhalten.
Mit der bisherigen Lösung profitieren aber doch alle Seiten. Und nicht nur im Bereich Pflege, sondern auch in der Baubranche. Denn schließlich sollte man nicht vergessen, dass auf der einen Seite zwar weniger Sozialabgaben bezahlt werden, auf der anderen Seite ausländische Unternehmen aber auch Kosten für die Unterbringung ihrer entsendeten Arbeitskräfte aufbringen müssen.
Die eigentlichen Probleme sind doch Schwarzarbeit und Scheinselbständigkeit. Diese werden mit der geplanten Reform allerdings in keiner Weise angegangen. Das sollten die Damen und Herren EU-Abgeordnete in Brüssel nicht außer Acht lassen.
Bleibt zu hoffen, dass sich Länder wie Polen, Ungarn und die baltischen Staaten durchsetzen, die bisher eine Neuregelung der EU-Richtlinie ablehnen. Mitte November tagt in Göteborg ein neuer EU-Sozialgipfel, bei dem das Thema auf den Tisch kommen wird. Man darf gespannt sein, ob die EU-Politiker mit Weitsicht entscheiden werden.